Gleichstellung fängt mit der Sprache an – Heute schon ge“in“t?

Seit Jahrzehnten tobt eine Diskussion darüber, ob die Sprache der Dichter und Denker Frauen diskriminiert oder nicht. Sie schlichtweg ignoriert. Ihren bisherigen Höhepunkt fand die Diskussion, als das oberste deutsche Zivilrecht Marlies Krämer das Recht darauf verwehrte, als „Kundin“ angesprochen zu werden. Die Diskussion ist damit aber nicht beendet.

Die Farce mit dem generischen Maskulinum

Sprache erzeugt Bilder im Kopf. Wer ist gemeint, wenn wir von den Dichtern und Denkern sprechen? Ausschließlich Schiller, Goethe und deren männlichen Kollegen? Oder sind damit auch Sophie von La Roche, Therese Huber, Sophie Tieck oder Johanna Schoppenhauer, um nur einige wenige zu nennen, gemeint? Sprachwissenschaftler (hier wurde absichtlich die maskuline Form gewählt!) argumentieren gerne mit dem generisches Maskulinum. Aber machen wir uns doch nichts vor, auch ein generisches Maskulinum ist und bleibt ein Maskulinum. Dass dem so ist, belegen auch Studien. Stahlberg et al. zeigten das bereits 2001 und Braun et al. 2005. Probandinnen und Probanden, die nach berühmten Musikern und Schriftstellern gefragt wurden, nannten signifikant mehr Männer als Frauen. Wurden sie aber nach „Musikantinnen und Musikern“ bzw. „Schriftstellerinnen und Schriftstellern“ gefragt, war das Verhältnis ausgewogener. Womit wir wieder bei der Sprache der Dichter und Denker wären.

Mit „in“ besser rekrutieren

Es geht aber noch weiter. Die Sprache hat sogar Auswirkungen auf die Berufswahl. 2015 zeigte eine Studie von Vervecken und Hannover, dass Mädchen sich typisch männliche Berufe eher zutrauen, wenn zu ihrer Bezeichnung auch die weibliche Form verwendet wird. Gemeint ist damit explizit das „in“. Denn wie eine andere Studie herausgefunden hat, reicht das 2008 vom Europäischen Parlament vorgeschriebene (m/w) bei Stellenausschreibungen nicht aus.

Aber genau so wie das für die eher männlich konnotierten Berufe gilt, gilt es auch für die die in großer Mehrheit von Frauen ausgeübten Jobs. Wie viele männliche Krankenschwestern oder Hebammen gibt es? Hat das vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Männer sich nicht angesprochen fühlen, weil es eine weibliche Berufsbezeichnung ist?

Bettina Hannover, Autorin der obigen Studie, erklärt das mit der „Selbstwirksamkeit“. „Wie sehr traut sich eine Person zu, eine Herausforderung zu meistern? Mädchen haben gegenüber maskulin konnotierten Berufen eine geringe Selbstwirksamkeit, sie sind also weniger überzeugt, diesen Beruf ausüben zu können. Außerdem werden vermeintlich männliche Aufgaben generell als schwieriger eingeschätzt. Unsere Studie belegt, dass geschlechtergerechte Sprache dieser Stereotypisierung entgegenwirken kann. Die Selbstwirksamkeit der Mädchen steigt, wenn die Paarform verwendet wird.“

Das führt auch dazu, dass sich Frauen weniger auf Stellen bewerben, die in der rein maskulinen Form gehalten sind bzw. lediglich ein (m/w) hinter die Berufsbezeichnung stellen. Wie die Onlinestellenbörse ZipRecruiter bei einer Analyse von fünf Millionen Stellenanzeigen herausgefunden hat, dass es sich durchaus rechnet, Stellenanzeigen zu gendern. Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich auf gegenderte Stellenanzeigen 42 Prozent mehr Bewerbende melden und die Stellen im Durchschnitt zwei Wochen schneller besetzt werden. Durch die höhere Zahl der Bewerbenden steigt die Qualität und time is money!

Was Sprache mit Gleichstellung zu tun hat

Dass die Sprache sogar einen direkten Einfluss auf die Gleichstellung der Geschlechter hat, hat 2012 eine Untersuchung des World Economic Forum (WEF) gezeigt. Länder mit genderneutraler Sprache sind gleichgestellter – zumindest dann, wenn in sie über ein ähnliches politisches System verfügen, die religiöse Ausrichtung sowie die Geographie und die menschliche Entwicklung (siehe UN-Index für die menschliche Entwicklung) ähnlich sind. 

Ein Ergebnis, das nicht verwundert. Denn schaut man sich die deutsche Sprache mal genauer an, erkennt man schnell, dass Frauen darin nur am Rande vorkommen. Es gibt zwar für zum Beispiel alle Berufsbezeichnungen auch eine weibliche Form, aber was ist, wenn sich ganz viele Lehrerinnen und ein Lehrer treffen. Dann wird im Allgemeinen nicht von den Lehrerinnen und dem einen Lehrer gesprochen, sondern von den Lehrern. Das maskuline Plural wird verwendet. Ganz davon abgesehen, dass die weibliche Form von Lehrer, lediglich eine Ableitung der männlichen Form ist. Und warum ist es möglich für Berufe mit ursprünglich weiblicher Berufsbezeichnung einen neutralen Begriff wie „Pflegekraft“ zu finden, ohne darum ein großes Aufheben zu machen? Aber, ok, das führt jetzt etwas weit. 

Die maskuline Form wird auch dann verwendet, wenn verallgemeinert wird. Dann wird von „jemand“ oder „man“ und „er“ gesprochen. Auch dann, wenn es sich durchaus um eine Frau handeln könnte. Da Sprache, wie bereits angeführt, Bilder erzeugt, werden bei der Verwendung einer maskulinen Sprache, Bilder von Männern erzeugt. In einer neutralen Sprache kann es eher das Bild von entweder einem Mann oder einer Frau erzeugen.

Warum die Gegenargumente keine Argumente sind

Die stärksten Argumente, oder zumindest die Argumente, die sich am stärksten in der Gesellschaft halten, sind, dass eine gendergerechte Sprache den Lesefluss hemmt, Texte unästhetisch klingen lässt oder ihn gar unverständlicher macht. 

Ja. Da ein gegenderter Text ungewohnt ist, hemmt es den Lesefluss und stört auch durchaus in der Ästhetik. 

Aber, Sprache ist nichts Starres. Sprache unterliegt einem ständigen Wandel. Lesen wir heute einen Text von La Roche, Goethe, Tiek und Schiller lesen, dann klingt das den Meisten nicht wie Musik in den Ohren. Viele verstehen auch gar nicht, was die Autorinnen und Autoren uns eigentlich sagen wollen. Wir brauchen aber gar nicht so weit in der Geschichte zurückzugehen. Wir verwenden heute andere Wörter als unsere Eltern. Genau so, wie die heutige Jugend ihre eigene Sprache hat und die Generation nach ihnen und die Generationen vor uns. Es kommen neue Wörter dazu und andere verschwinden einfach aus dem Sprachgebrauch.

Markus Friedrich und Elke Heise von der TU Braunschweig haben mit mehr als 350 Studierenden ein Experiment zu Textverständnis durchgeführt. Das Ergebnis: Ein gegenderter Text ist nicht mehr oder weniger verständlich, als ein Text, der ausschließlich die männliche Form verwendet. Auch was die Ästhetik angeht, empfanden die Probandinnen und Probanden den gegenderten Text nur minimal weniger ästhetisch. Der Wissenschaftler und die Wissenschaftlerin sind sich daher sicher, dass „kleine Einbußen bei der Ästhetik ein vernünftiger Preis für eine gleiche Repräsentation von Männern und Frauen (sind), vor allem, weil sich das über die Zeit ändern kann.“ Sie sind davon überzeugt, dass die negativen Effekte auf die Ästhetik kleiner werden, je häufiger die geschlechtergerechte Form verwendet wird und Forschungen belegen das. Die Wahrscheinlichkeit, dass nachfolgenden Generationen ein nicht gegenderter Text unästhetisch bzw. nicht im Fluss vorkommt und sie nicht wissen, was gemeint ist, ist also durchaus gegeben. Für alle, die auf der Suche nach dem richtigen – sprachlich wie politisch – Ausdruck sind, bietet der Journalistinnenbund unter www.genderleicht.de Formulierungshilfe. Einfach mal ausprobieren. Tut nicht weh!

Deshalb: #heuteschongeint?