Anwesenheit hat nichts mit Leistung zu tun

Wer Familie und Beruf vereinbaren will oder muss, braucht Zeit. Zeit für den Beruf und Zeit für die Familie. Viele Unternehmen, aber auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sind noch immer der festen Überzeugung: Bietet der Arbeitgeber flexible Arbeitszeiten, ist das mit der Vereinbarkeit nur noch halb so schwer. Aber ist dem wirklich so?


Wann haben Sie das letzte Mal das Büro pünktlich um 17 Uhr oder vielleicht sogar noch früher verlassen? Wie waren die Reaktionen der Kolleg*innen? Nicht selten kommen dann Kommentare wie „Was, schon Feierabend? Arbeitest Du neuerdings halbtags?“ Spaßig gemeint, aber doch immer mit einem Funken Ernst in der Stimme.

In Schweden undenkbar, erklärt Jonas Carp, der vor wenigen Jahren von Schweden nach Hamburg zog. Wenn in Schweden Angestellte nicht pünktlich gehen, werden sie gefragt, ob sie familiäre Probleme haben und deshalb nicht nach Hause gehe möchten. Carp ist der festen Überzeugung, dass es auch deshalb in Schweden mehr Frauen in Führungspositionen gibt, weil hier eine Vollzeitstelle 40 Stunden und nicht 60 bedeutet.

Tatsächlich sind wir in Deutschland die Weltmeister der Mehrarbeit. Jährlich werden 1,4 Milliarden unbezahlte Überstunden geleistet. Aber führen diese Überstunden auch zu einer höheren Produktivität? Zahlreiche Studien belegen es immer wieder: Mehr Stunden bedeutet nicht automatisch mehr Leistung. Wissenschaftler haben schon längst rausgefunden, dass sich kein Mensch acht oder mehr Stunden voll konzentrieren kann. Studien belegen, dass die Fehler- und Unfallquote nach der achten Arbeitsstunde drastisch zunimmt. Dennoch hält sich beharrlich der Glaube: Wer länger im Büro ist, gehört zu den Leistungsträgern. Man könnte aber auch sagen: Wer so viele Überstunden machen muss, hat seine Arbeit nicht im Griff und ist eventuell sogar überfordert.

Abgesehen davon führen Überstunden die flexiblen Arbeitszeiten ab absurdum. Flexible Arbeitszeiten sind dafür gedacht, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Arbeitstag flexibel anfangen und flexibel beenden können. Wer aber acht Stunden plus am Arbeitsplatz anwesend sein muss, ist in der Flexibilität massiv eingeschränkt. Die meisten Kindergärten schließen ganz unflexibel um spätestens 17 Uhr.

Das ROWE-Prinzip, Results-Only-Work-Environment-Prinzip, das Best Buy in Amerika einführte, war schon mal ein guter Schritt in die richtige Richtung. Alle Mitarbeiter*innen in den Büros wurden hier ausschließlich nach Leistung und nicht nach Anwesenheit beurteilt. Gemessen wurden sie an den erbrachten Ergebnissen. Best Buy hat das Prinzip wieder abgeschafft, weil es doch nicht auf alle Mitarbeiter angewendet werden konnte. Aber: Ein bisschen mehr ROWE, ein bisschen weniger Anwesenheitszwang und schon wäre die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für viele berufstätige Mütter und Väter viel einfacher.

Hinzu kommt, wer geistig arbeitet, arbeitet nicht nur, während er/sie sich räumlich beim Arbeitgeber befindet. Kreativität lässt sich nicht zeitlich einfangen und die wenigsten sind auf Kommando kreativ. Oftmals kommen die besten Ideen in der Badewanne, beim Duschen während des Spaziergangs mit den Kindern, auf dem Spielplatz oder kurz vor dem Einschlafen. Was wäre jetzt, wenn diese Ideen einfach verworfen würden, nur weil sie nicht während der Zeit am Arbeitsplatz gekommen sind?